Gerade heute brauchen wir die Gewerkschaften mehr denn je!

Kaum eine Arbeitnehmerin, kaum ein Arbeitnehmer ist von den Auswirkungen der Corona-Pandemie verschont, die auf der gesamten Welt katastrophale Ausmaße angenommen hat.

In den Krankenhäusern geht es ums Überleben

In den Krankenhäusern erleben die Pflegkräfte und Ärzt*innen, die Reinigungskräfte und alle anderen Beschäf­tigten den Notstand in brutaler Form. In den Senioren- und Pflegeheimen sieht es nicht anders aus. Die Krankenhäuser sind angewiesen, Betten und ganze Stationen freizumachen für Covid-19-Patient*innen. Das führt derzeit in Berlin zu massiven Erlösausfällen. Deshalb wird freiwerdendes Personal einerseits zu Minusstunden gedrängt wird, soll aber bei Bedarf 12-Stundenschichten leisten.

Die Gesundheitsämter waren und sind auf die Anforderungen nicht vorbereitet. Im Bereich der Betreu­ung stehen soziale Einrichtungen und Freie Träger vor Herausforderungen, die kaum zu bewältigen sind. 

Das Virus trifft auf einen kaputtgesparten Gesundheitsbereich, aus dem schon 200.000 Kolleg*innen geflohen sind, weil sie aufgrund von Personalmangel, Arbeitsbelastung und schlechter Bezahlung ihren Beruf nicht mehr ausführen wollen oder können. Jetzt zeigt sich, wie dringend die Forderung nach zusätzlichen Mitteln für „Mehr Personal“ ist – im gesamten Gesundheitswesen.

Und zugleich fehlen weiter Schutzmittel für alle Beschäftigten und Patient*innen, eine Vorratshaltung gab es nicht.

Es bewahrheitet sich nun erst recht, dass die Krankenhäuser ein Betrieb sind. Ohne die Kolle­g*innen der (ausschließlich zum Zwecke des Lohndumpings) ausgegründeten Betriebe mit Bereichen von der Reinigung und Küche über Krankentransport bis hin zu Sterilisation und Labor, würden die Kranken­häuser unter der Last der Epidemie zusammen­brechen. Die Forderung nach TVöD für alle, stellt sich als dringende Notwendigkeit dar.

Dafür sind Beschäftigte bei Vivantes und Charité mit ver.di aktiv geworden und haben in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und die Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci die Forderungen der Belegschaften aufgestellt. In nur einer Woche wurden über 4.500 Unterschriften aus allen Bereichen und Betrieben von Charité und Vivantes gesammelt und den Abgeordneten und dem Senat übergeben. Diese Berliner Initiativen haben Entsprechungen in anderen Städten gefunden. Sie zeigen: Wir, die Kolleginnen und Kollegen in allen Bereichen des Gesundheitswesens, retten das öffentliche Leben der Stadt, die Gesundheit der Bürger*innen.

Bisher gibt es kein Signal der Änderung der Politik. Aber die Kolleg*innen haben gezeigt, der gewerk­schaftliche Kampf ist möglich und notwendig.

Schluss mit der Kaputtsparpolitik!

Es sind die Kolleg*innen, welche die Gesundheitsversorgung als Teil der Öffentlichen Daseinsvorsorge verteidigen, gegen ihre Auslieferung an die Profite, Rendite und Privatisierung.

In der einen oder anderen Art werden auch andere Bereiche der Öffentlichen Daseinsvorsorge in Mit­leidenschaft gezogen, zum Beispiel der Öffentliche Personennahverkehr. Es wird von Tag zu Tag deutlicher, wie wichtig die öffentlichen Betriebe für die Gesellschaft sind. Für jeden wird greifbar, wie wichtig Kindertagesstätten, Schulen, Jugendämter, Soziale Dienste usw. sind.

Wenn die Corona-Pandemie ein Ende hat, wird eine Frage unweigerlich kommen: Wer soll bezahlen? Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?

Es darf am Ende des Ausnahmezustands keine Fortsetzung der Kaputtsparpolitik geben. Wir lassen uns von der Grundposition, die ver.di Berlin seit mehreren Jahren eingenommen hat, nicht abbringen:  Ja zu Berlin – Nein zum Kaputtsparen.

Niedriglöhne, Lohndumping, Tarifflucht – der Druck auf die Löhne wächst

Das Virus trifft auch auf einen massiven Niedriglohnsektor in Deutschland. 11 Millionen Arbeit­nehmer*innen verdienen derzeit weniger als 12 Euro pro Stunde. Rund 1 Million Menschen sind „Aufstocker“, weil ihr Lohn nicht zum Leben reicht. Die Zahlen benennen die Situation vor Corona. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Hartz-IV-Haushalte in den nächsten Monaten auf über 4 Millionen und die Zahl der Leistungsberechtigten auf 8 Millionen anwachsen könnte.

Heute „systemrelevant“ – morgen weiterhin prekär…

Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Situation genutzt wird, um alle Formen prekärer Arbeit, alle deregulierten Arbeitsverhältnisse, auszuweiten. Das gilt auch für politische Entscheidungen im öffentlichen Bereich.

  • Befristet Beschäftigten droht der Verlust des Arbeitsplatzes beim Auslaufen des Arbeitsver­trages. Laut einer im Januar 2020 veröffentlichten Studie wird heute (vor Corona) fast jeder zweite Arbeitsvertrag mit dem Typ der „sachgrundlosen Befristung“ abgeschlossen.
  • Leiharbeiter*innen sind die ersten, die in der Industrie „aussortiert“ werden.
  • Honorarkräfte, Freie Mitarbeiter, Solo-Selbständige, Werkvertrags-Beschäftigte müssen darum bangen, dass ihre Lehr­tätigkeit und ihre Projekte heruntergefahren werden, wenn Hochschulen, Musikschulen, Volks­hoch­schulen und andere Einrichtungen wieder ihren Betrieb aufnehmen können. Der gesamte Kulturbereich ist lahmgelegt.
  • Vor allem dort, wo es keine Tarifverträge oder Normalarbeitsverhältnisse gibt, wird den Beschäftig­ten aufgedrängt, den Urlaub vorzuziehen, Überstunden abzubummeln oder Minusstunden zu schreiben.

Die wesentliche Ursache des Niedriglohnsektors ist die Zersetzung der Flächen- und Branchen-Tarifverträge. Es wäre naiv zu glauben, dass sich nach Corona der Druck auf die Tarifverträge nicht massiv erhöhen wird.

So gibt es die Angriffe der Arbeitgeber und der Regierenden zur Tarifflucht. Arbeitsminister Hubertus Heil umgeht Parlament und Bundesrat und setzt das Arbeitszeitgesetz außer Kraft. Im Namen der „Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit“ und der Schuldenbremse, die nur kurz ausgesetzt wurde, wird die Situation genutzt, um weiter gegen die Tarifverträge voranzugehen.

Prekäre Arbeit darf nicht weiter ausgeweitet werden – sie muss abgeschafft werden!

Wir haben mit dem Gewerkschaftlichen Aktionsausschuss den Kampf aufgenommen, Lohndumping und Tarifflucht zu ächten und zu beseitigen. Es gab in den letzten Jahren wichtige Erfolge und in vielen Bereichen waren die Kolleginnen und Kollegen auf einem guten Weg. Es gab die Reintegration in die Flächentarifverträge TVöD und TV-L und die Rückführung von Tochterbetrieben. Es gab auch ein weit­gehendes Zurückdrängen der sachgrundlosen Befristungen in den landeseigenen Unternehmen Berlins.

Wir werden uns nicht davon abhalten lassen, diesen Kampf mit unseren Gewerkschaften unbeirrt wei­ter zu führen. Die erreichten Erfolge werden sich die Kolleginnen und Kollegen nicht nehmen lassen.

Es muss geklärt werden, wer bezahlt…

725.000 Betriebe in Deutschland haben – Stand 15. April – Kurzarbeit angemeldet. Wie viele Menschen es betrifft, kann die Bundesagentur für Arbeit derzeit noch nicht ermitteln. Die Anmeldung zur Kurz­arbeit wurde extrem erleichtert. Den Arbeitgebern wird sogar die Zahlung der Sozialversiche­rungs­­beiträge erlassen. Ein Nullsummenspiel für die Unternehmer – finanziert aus der Arbeitslosen­versicherung, das heißt, von den Arbeitnehmer*innen selbst. Nach der Kurzarbeit darf es keine Entlassung geben.

Die Soforthilfen für Solo-Selbständige und Freiberufler dürften gerade für die Miete, Versicherungsbei­träge und die Steuern reichen, aber nicht für mehr.

Wem dienen eigentlich die „Rettungsschirme“? Wer bezahlt die „Rettungsmilliarden“, die die Bundes­regierung hau-ruck in einem Volumen von mehr als einer Billion Euro auf den Weg gebracht hat?

Gerettet werden nicht die Kommunen. Deren finanzielle Belastungen steigen jetzt täglich und gleich­zeitig brechen in wichtigen Sektoren die Einnahmen ein. Die Haushaltsdefizite werden sich massiv erhöhen, wenn nicht potenzieren. Doch eine Entschuldung der Kommunen ist nicht vorgesehen.

Gerettet wird nicht die Öffentliche Daseinsvorsorge. Gezahlt wird aus den Budgets der Arbeitslosen­versicherung, der Krankenversicherungen … – sie werden geplündert.

Gerettet werden nicht die (öffentlichen) Krankenhäuser. Allein im Gesundheitswesen bemisst sich der Investitionsstau von 40 Milliarden Euro. Was mit dem Öffentlichen Personen­nahverkehr? Was ist mit den Schulen? Was ist mit dem unermesslichen Investitionsstau in allen Bereichen der Öffentlichen Daseinsvorsorge?

Gerettet werden die großen Unternehmen und Konzerne. Sie werden mit Milliarden Euro „geschützt“.

Gerettet werden vor allem die Dividende und die garantierten Profite der Investoren, der Finanzmärkte, der Spekulanten. Drei von vier der 160 Konzerne, die in den vier wichtigsten Börsenindizes vertreten sind, halten an ihren Dividenden fest – auch wenn sie ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken (Handels­blatt vom 16.04.2020).

Schon heute muss die Frage „Wer bezahlt?“ gestellt werden. Es droht der Rückfall in die Kaputtspar­politik. Eine Wiederholung der „Rettungsschirme“ der Finanzkrise 2008/2009 darf es nicht geben.

Wir befinden uns erst am Anfang einer Situation, in der – wieder einmal – die Existenzgrundlagen der Arbeitnehmer*innen infrage gestellt werden.

Wir sehen es als eine vordringliche Aufgabe der Gewerk­schaften an, genau das zu verhindern. Damit müssen wir heute anfangen – nicht erst „nach Corona“.

Noch nie war gewerkschaftliche Organisierung so wichtig wie heute!

Für alle Arbeitnehmer*innen, wann immer sie auch ins Berufsleben eingetreten sind, gilt schon heute und auch morgen, dass sie des Schutzes bedürfen. Schutz bieten die Flächen- und Branchen-Tarifverträge. Das ist der wichtigste „Rettungsschirm“ für die Arbeitnehmer*innen.

Das de-fakto Versammlungs- und Demonstrationsverbot auf der Grundlage der Pandemie-Gesetze droht die gewerkschaftliche Kampfkraft lahmzulegen. Wenn uns das Mittel des Streiks aus der Hand genommen ist, werden wir in Tarifverhandlungen zu Bittstellern.

Aber gerade heute sind die Gewerkschaften für alle Kolleginnen und Kollegen so wichtig wie nie.

Konkret …

… heißt das aber, dass alles dafür getan werden muss, dass Betriebsgruppen, Tarifkommissionen und gewerkschaftliche Gremien sich reorganisieren und Wege finden, sich – sei es mit digitalen Mitteln – zu treffen und auszutauschen.

Wir brauchen die Informationen und den Austausch darüber, wie unter den verschiedenen Bedingun­gen die gewerkschaftlichen Kämpfe, Versammlungen und Streiks unter Beachtung der gesundheits­politischen Auflagen, weiter geführt werden können. Wir brauchen die Diskussion darüber, was in den kommenden Monaten und Jahren auf die Arbeitnehmer*innen zukommt.

Der Gewerkschaftliche Aktionsausschuss will hier einen Beitrag dazu leisten. Teilt uns Eure Erfah­run­gen und Forderungen mit. Diskutieren wir: Welche Aktionsformen und Initiativen können wir nutzen?

Beschlossen auf einer Telefonkonferenz des Gewerkschaftlichen Aktionsausschusses am 20. April 2020